Hingabe

Spiritualität/Mystik

 

 

 

 

 

 

 

 

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Ernsthaftigkeit ohne Klebstoff

Der Prozess der Hingabe ist im Feinen so vielfältig wie es Menschen gibt, jedoch in seiner Struktur wohl sehr ähnlich. Jörg Wedereit skizziert diesen Prozess aus seinem Erleben und seiner Arbeit als spiritueller Begleiter. Alles darf sein, nur ohne Hingabe ist alles nichts...

Hingabe ist ein zutiefst radikaler Prozess, was nichts anderes als fundamental und allumfassend ausdrückt. Es geht nicht um die Hingabe an deinen liebsten Freund, sondern an deinen größten Schatten, dem alles zerstörenden Krieger oder dem hartnäckigsten Widerstand, der sich aus deinem Geist und/oder aus deinem Körpernervensystem deiner Befreiung scheinbar in den Weg stellt. Hier ist nicht »einem verfallen sein« gemeint, was nichts anderes bedeutet, als sich aufzugeben und die gedachte Verantwortung dem Anderen zu übertragen.

 

Bist du nicht bereit, alles, und da meine ich wirklich alles Weltliche zu geben, bleibt Hingabe nur eine Wunschvorstellung in deinem Gedankenzirkus.

 

Der Prozess

Wenn der tiefe Impuls dich in diesen Prozess führt, fühlst du dich hin und her geschmissen. Es wird dich fast zerreißen und du wirst immer wieder versuchen, Abkürzungen zu finden. In tiefer Verzweiflung eine Lust spüren, alles zu zerstören und zu flüchten. Versuchen, einen Deal nach dem anderen zu starten, doch noch etwas zu behalten und mitzunehmen, bis etwas in dir erkennt, dass du noch nie etwas wirklich besessen hast. Um nicht zu verzweifeln, fordert dein tiefer Impuls ein ständiges Spüren sowie Fühlen ein. Wie lange hältst du dich im Spiegelbild aus? Sie kann sehr langsam erblühen oder mit einem Knall kommen, aber wenn dein tiefer Impuls dich dadurch trägt und es dann passiert, wirst du hineinfallen in den wunderbar leichten Frieden der Hingabe.

Wenn wir unbewusst vom Sein an diesen Punkt geführt werden, oder im immer bewusster werdenden Prozess den Moment der tiefen Hingabe erleben, fallen wir nur kurz in einen vollendeten Zustand von völliger Freiheit. Dann tauchen wir wieder auf und wenn der Verstand wieder zugeschaltet ist, lauert die Falle und wir denken, es ist vollbracht. Das Sein zeigt uns nur kurz den Endzustand und nun steigen sämtliche Schatten-Themen in einen heftigen Prozess nach und nach wieder auf und wie bei einer herabführenden Treppe erleben wir ein bewusst erlebbares Sterben, sowie Hingeben in jedem Teilaspekt. Stufe um Stufe passieren wir, in dem sich extrem zerstörbare Widerstände uns die Hingabe unerreichbar erscheinen lassen, bis wir den Geschmack der völlig freien Leichtigkeit auf der Zunge spüren. Gleichzeitig nehmen wir wahr, dass der alles entscheidende finale Kniefall noch ansteht. Alles läuft auf den Moment zu, Gott dein komplettes weltliches Dasein zu übergeben und dich für das Unbekannte völlig zur Verfügung zu stellen. Wenn das dann passiert, wirst du es wissen und du wirst Schmerz sowie Glückseligkeit gleichzeitig mit der völligen Leichtigkeit sein.

Bist du nicht bereit, alles, und da meine ich wirklich alles Weltliche zu geben, bleibt Hingabe nur eine Wunschvorstellung in deinem Gedankenzirkus.

Ignorieren wir diesen intensiven Prozess und erliegen der Falle zu glauben, der Startmoment war es schon, kann diese Verleugnung zur Abspaltung der Schatten führen und die Hingabe verpufft. Sie ist nicht verankert, ja, sie hat sich nicht im gesamten Nervensystem integriert. Dann setzt sich eher die Verleugnung dieser Schatten im Nervensystem zusätzlich fest und oft führt das zur Flucht aus der Erscheinungswelt. Unsere Schatten wirken dann noch intensiver, da sie eine Einladung erhalten haben, aber der Tisch ist nicht gedeckt. Das Herz mit all seiner Liebe verschließt sich dann wieder. Es wird kalt.

 

Hingabe - an wen?

Ich erlebe, dass Hingabe wohl meist ein Gegenüber braucht. Der Suchende gibt sich dem Lehrer, anstelle Gott hin und für beide ist eine integrative Befreiungsstufe möglich. Es ist ein füreinander ergänzendes zur Verfügung stellen. Die Benennung Lehrer trifft es am nächsten, denn du kannst dich nur dem hingeben, der scheinbar das weiß, was du scheinbar nicht weißt, oder auf den Punkt gebracht: der Sterben und Hingabe verkörpert. Aber wie lange wirst du brauchen, wie lange wirst du kämpfen, um tief zu erkennen, dass im Lehrer Gott, und nicht eine Person ist, der du dich hingibst? Kann ich mich in die Rolle des Schülers für eine gewisse Zeit dem Lehrer völlig hingeben, beginnt die Prozessphase des sich gründens. Können nun beide diesen Zustand für die Zeit der Verankerung stabil tragen und ausfüllen, gründet sich die Freiheit in das Nervensystem. Die Schatten des Widerstandes verbrennen nach und nach und die Liebe sowie der Frieden gründen sich in deinen Zellen. Ist dieses wiederum stabil im Nervensystem gegründet, findet die Loslösung vom Lehrer statt, womit keine Trennung gemeint ist. Nur die notwendig gewesenen Rollen und das Rollenverhältnis, Lehrer Schüler löst sich auf.

Und der Lehrer? Für den Lehrer in seiner Rolle kann es eine integrative Meisterschaft sein. Gibt sich ein Schüler dem Lehrer völlig hin, kitzelt es in seinen Zellen alle restlichen Guru-Schatten wie Arroganz, Allwissenheit, Macht und weiter sein heraus, die auf diesen Prozess gewartet haben, um in Liebe angenommen und ebenfalls verbrannt zu werden. Verpasst er diese Herausforderung und sonnt sich in seinem Schatten, kann er sich gleich wieder in die Rolle eines Schüler einreihen. Es ist wohl Gnade, wenn beide bereit waren, ihren Befreiungs-Impuls in diesen Prozess wirken zu lassen und die Rollen, wenn es dran ist, auch wieder sanft loszulassen. Tiefe Dankbarkeit wird gegenseitig fließen und stabilisiert im Nachhinein in beiden das gegründet Sein.

 

Geistiges und verkörpertes Dasein

Nach einer gegründeten Hingabe fällt die Welt mit all ihren Erscheinungen in die völlige Bedeutungslosigkeit. Erst nach und nach erwächst eine Ernsthaftigkeit in uns, den weiteren, nun nur noch schwachen, aufsteigenden Schattenanteilen aus dem Nervensystem, genussvoll begegnen zu können. Ja, du wirst jeden kleinsten aufsteigenden Schatten genießen und er wird von der Liebe schon beim Erscheinen in die Arme genommen.

Dein geistig sowie körperlich gegründetes Dasein im Gewahrsein lässt zwar mal eine leichte und kurze, aber selten eine intensive Verwicklung mit der Erscheinungswelt zu. Der Klebstoff klebt nicht mehr. Ernsthaftigkeit ohne Klebstoff lässt das präsente Wirken in die Erscheinungswelt in völliger Leichtigkeit fließen. Genauso kann der Prozess bei dir passieren, aber genauso wahrscheinlich völlig anders.

 

 

 

erschien in der Zeitschrift CONNECTION im Oktober 2016

 

 

 

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